Das Buch erscheinte 2021 als dritter Teil der Publikationsreihe „Vagabonds“ in London (Pluto Press), die schöne Selbstbeschreibung der Reihe verweist auf die inhaltliche Ausrichtung des folgenden Texts von Isabelle Fremeaux und Jay Jordan: „Radical pamphlets to fan the flames of discontent at the intersection of research, art and activism.“ 

Kein Buch hat mich im letzten Jahr mehr gefesselt. Jay Jordan sah ich zuerst in einem Video, in der Ausstellung Overground Resistance kuratiert von Oliver Ressler im frei_raum/Museumsquartier in Wien. Ich war von den Worten Jay Jordans angetan, bewundere sowieso kluge radikale Leute, Personen, die sich in Zwischenräumen bewegen, Trans sind. 

We are ‚Nature‘ Defending Itself ist ein Text von Isabelle Fremeaux und von Jay Jordan über die Geschichte der erfolgreichen Besetzung der so genannten ZAD (the zone to defend) im Norden von Frankreich, wo über mehre Jahrzehnte lokale Farmer, mit Aktivist*innen einen Widertand gegen den Bau eines sinnlosen Flughafens organisierten, sich gegen mehrere großangelegte Räumungsversuche verteidigten, eine eigene kommunale Infrastruktur aufbauten, Medienarbeit machten, Häuser in Stand setzten, dort lebten – eine Verbindung zum Land aufbauten bzw. aufrecht erhielten. 

„Just because winners get to write authoriative history, we should never assume that other ways of living, being and understanding have evaporated below their victory.“ (Vorwort von Marc Herbst)

Das Buch liefert eine Art von Erfolgsgeschichte, eine alternative Geschichte, eine Geschichte von einer erfolgreichen Besetzung und von echter Autonomie. 

Bevor Isabelle Fremeaux und Jay Jordan beschlossen in die ZAD zu übersiedeln, um dort den Widerstand mitzutragen, waren sie viele Jahre an Unis in London tätig – ebenfalls an der Schnittstelle zwischen Kunst und Aktivismus:

„Our favorite edges were between art and activism, pleasure and protest, cultural institutions and radical social movements. Possibility emerges in those magical spaces of neither nor, the trans spaces, the non-binary worlds, the entangled hedges and edges.“ 

Jay Jordan war Mitbegründer von Reclaim the Streets und der Radical Clown Army, gemeinsam initiierten sie mit anderen Mitstreiter*innen das Laboratory of Insurrectionary Imagination (LABOFII) und sie teilten ihr zunehmendes Unbehagen gegenüber einer akademischen Kunstwelt. 

Der zwiespältigen Autonomie der Kunst begegneten sie skeptisch. Marc Herbst schreibt im Vorwort von einem falschen Autonomieversprechen für priviligierte Subjekte innerhalb des neoliberalen Kunstmarkts. Also eine eher marktkonforme Autonomie, im Gegensatz zu den politischeren Ansätzen von autonomen Räumen und Kämpfen. Das Buch hat nicht den Anspruch eine Geschichte dieser autonomen Arbeiter_innenbewegung (Stichwort: Operaismus) oder die Geschichte von autonomen Häuserkämpfen, Squatting, etc. nachzugehen – gestreift werden Anti-Globalisierungsdemos, ander Protestaktionen, mit denen die beiden persönliche Erinnerungen verknüpfen. Der Buchtitel bezieht sich auf eine Demo-Spruchtafel.

Wenn sie der Autonomie der Kunst kritisch gegenüber stehen, heißt das nicht, dass sie die (bildende) Kunst generell ablehnen, aber die Kraft der Kunst liege im „acting as if you were already free“ (David Graeber), im Imaginieren und Realisieren von radikalen Alternativen jenseits von Kapitalismus. 

„That art is a ‚conspiracy of reason‘ means that art’s affective powers can so overwhelm consciousness that the speculative ideas and practices of art become widespread social practices, assumptions, and accepted facts of how life is lived.“ S. 6

Immer wieder betonen sie im Text – der bezeichnenderweise stets zwischen der ich-Form und der wir-Form hin und her springt – wie wichtig ihnen eine Kunstpraxis ist, die sich mit einem Ort auseinandersetzt, sich mit einer Gegend, den Menschen und Nicht-Menschen darin in Verbindung setzt. Es habe – so ein treffender Kommentar – im künstlerischen CV einen enormen Wert von Ausstellungen in Dubai, New York und Berlin, von mehreren Wohnaorten zu schreiben, wohingegen die Verbundenheit mit einem Ort ein regelrechter Karrierekiller sei. 

„But if your bio says that you work in the village where you have lived all your life, getting to know the humans and more-than-humans who share your territory, and that your work nourishes local life, your carreer is fucked. Und capitalism, mobility is always more valuable than getting to know and paying attention to somewhere.“

Mich spricht diese Bemerkung an, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie schwierig es ist eine künstlerische Praxis, die vor allem im „Draußen“ (im öffentlichen Raum) sich bewegt, oft selbstorganisiert ist und hauptsächlich an einem einzigen Ort stattfindet, wie schwierig es ist eine solche Praxis in die Logik eines herkömmlichen künstlerischen Portfolios/CVs zu gießen.

Der Karriere haben Jay Jordan und Isabelle Fremeaux eh bewusst eine Absage erteilt, um nicht zur zeitweise und projektbasiert ihre Vorstellungen von Leben und Widerstand zu gestalten haben sie ihre Jobs gekündigt und sind in diese ländliche Gegend in Nord-Frankreich gezogen. In die ZAD.

Die Ländlichkeit, die Arbeit am Land, der Kompost und ein guter Umgang mit Natur, verschiedene Theorien dazu sind zum Teil im Buch auch relativ zeitgeistig enthalten – aber gleichzeitig sind diesbezügliche Kommentare zum Einen richtig, außerdem sehr persönlich, glaubwürdig und gar nicht unkritisch, aber wichtig, wenn es um die Relativierung von anthropozentrischer Ich-Subjektivitäten oder von Dualismen geht.  

„In a compost pile everything is cross contaminating , nothing is pure.“ 

„the I is a fine environment for bacteria, fungi, roundworms, mites and others which lieve in and on us.“ 

„Life is a squirming, swarming, transforming collective of bodies nested within bodies.“

Interessant ist im ganzen Buch, dezidiert aber im letzten Kapitel die Reflexion von Ritualen, die Betonung, wie wichtig die Erfindung von eigenen Ritualen in solchen Kämpfen ist. 

„Given the urgency of the epoch, the best way of doing this is not alone with your crystals, or in an Instagram coven, it is weaving yourself into creative movements of struggle, which are the most powerful forms of everyday magic.“ 

Fremeaux, Jordan: We are ‚Nature‘ Defending Itself, S. 76.

und weiter:

„Ritual is the theater of magic: transformation through communication. It is the ancestor of all art and its future if we want tu build worlds that reclaim the commons, rather than nourish extractivist culture. Like carnival, ritual erases the space between performer and public, life and art. It replaces extractivism with care, representation with reciprocity, and it gives back the force of a specific time, place, and community to art.“

Ich habe am Anfang gesagt, dass ich das Buch super finde. Für mich ist es wirklich befriedigend, wenn gescheite Leute so klar die wichtigen Aspekte von Kunst herausschälen und die Bedeutung von einer lokalen, offenen und widerspenstigen Kunstpraxis betonen. 

Lest das schmale Buch, das in verständlichen nicht-akademischen Englisch geschrieben ist und eine packende Geschichte der ZAD-Besetzung, des Widerstands und des praktischen Aufbaus einer Commons erzählt.

Tomash